ab 10 Jahre

Kopfüber

Buchstabensuppe im Kopf

Sascha klaut und lügt, wird schnell wütend und hält sich an keine Abmachung. Der Zehnjährige ist ständig in Bewegung, kann weder richtig lesen noch schreiben und muss eine Förderschule besuchen. Nur mit Elli kommt Sascha gut klar, denn die kennt seine guten Seiten. Fahrräder repariert er wie kein Zweiter und wenn er sich für etwas interessiert, bleibt er am Ball. Nach der Schule fahren die beiden mit dem Rad in der Gegend herum und sammeln ausgefallene Geräusche um daraus Klang-Collagen zu mischen.

Sascha sitzt im Klassenraum und sieht ängstlich nach vorne

Als Sascha mal wieder beim Klauen erwischt wird, holt sich seine alleinerziehende Mutter Hilfe beim Jugendamt. Erziehungsbeistand Frank überzeugt Saschas Mutter, eine Kinderärztin zu konsultieren. Sein Verdacht wird bestätigt – bei Sascha wird die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert, die mit Medikamenten behandelt wird.

Sascha steht mit seiner Mutter vor der Kassiererin im SupermarktSascha und Elli hören sich ihre Klang-Collagen an

Tatsächlich bewirken die Tabletten Wunder: Sascha ist plötzlich so ruhig und folgsam, dass es selbst der geplagten Mutter nicht geheuer ist. Etwas ist auf der Strecke geblieben. Elli bringt es auf den Punkt: „Weißt Du eigentlich, dass Du nicht mehr lachen kannst?“

Über den Film

Mit KOPFÜBER beweist der renommierte Regisseur Bernd Sahling (DIE BLINDGÄNGER), wie gut er sich in die Gedanken- und Gefühlswelt eines Kindes hineinversetzen kann. Dabei kann er auf eigene Erfahrungen aus den 90er Jahren zurückgreifen, wo er als Familienhelfer für das Jugendamt in Potsdam einen Jungen mit ADHS betreut hat. Auf unaufgeregte Art beschreibt er den Mikrokosmos eines Zehnjährigen, bei dem eine Krankheit diagnostiziert wird, die nach Aufmerksamkeit und Nähe ruft. ADHS ist allerdings nicht das Hauptthema des Films, auch die Frage nach dem Für und Wider der Medikation wird nur angerissen – es geht vielmehr um Fragen an die Gesellschaft über den Umgang mit Kindern, die nicht der „Norm“ entsprechen.

Kopfüber indes, in konzentrierter Ruhe gefilmt, ist ein geradezu klassisches Drama im Sinn des unlösbaren, also mitreißend tragischen Konflikts. Sascha erhält, nachdem bei ihm ADHS diagnostiziert wurde, Medikamente. Sie helfen ihm, den Analphabetismus zu überwinden. Aber sie verändern sein Wesen. Sie machen aus dem ruhelosen und unkontrollierten einen müden und antriebsschwachen Jungen. Sascha kann jetzt lesen. Ein unschätzbarer Gewinn. Aber das lesende Kind ist nicht mehr es selbst. Und dieser Verlust lässt sich unmöglich gegen den Gewinn aufwiegen. Es gibt, anders gesagt, in dieser Geschichte kein Richtig und kein Falsch, keine über- und keine unterlegene moralische Entscheidung. Genau das aber macht KOPFÜBER so spannend. Man sitzt im Kino und vergisst, dass man eigentlich wenig Lust hatte auf einen Film über das durchpalaverte Allerweltsthema ADHS.
» Ursula März, zeit.de

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